LIL SCHMUSIS

Das neue Album von Lil Uzi Vert ist geili. Aber der mit LUV vereinbarte Gesprächstermin konnte wegen des nationalen Notstands in den USA und dem Einreisestopp für Europäer leider nicht wahrgenommen werden. So schnell werden Fiktionen Realität. 

Das Gespräch findet dennoch statt, wir reisen im Traum ins Grillrestaurant Johnnie Bleu in Philadelphia und tragen dabei Atemschutzmasken. Es ist einfach, im Traum zu reisen: So wie Nabokov, der sich Mitte der dreißiger Jahre in seinem Berliner Untermietzimmer nach Zentralasien träumte. 

LUV sitzt schon an einem runden Aluminiumtisch und wartet, er hat eine Schale mit Crab Claws vor sich stehen. Er sieht süß aus, er ist der schönste. Wir geben uns Küsse links und rechts, wir kennen uns schon eine ganze Weile. Wir sind nicht zum ersten Mal hier. Er nickt kurz, er steht auf und deutet mit dem Kinn auf die Bedienung und ich lache. 

Das Restaurant, in dem wir uns treffen, kann nur im Traum geöffnet sein. 

Die Krabben-Saison wird in Neuengland gerade beendet (30.03.2020). In North- und South Carolina läuft sie das ganze Jahr über, also weiß niemand, woher die Krabben kommen, die Lil Uzi Vert isst. Die Krabben, die wir gleich zusammen essen. 

Lil Uzi trägt einen Anzug aus dem Weltraum. Er ist so bunt, dass die Bedienung immer wieder laut aufschreit. Auf Uzis Atemmaske ist ein Wurmloch abgebildet, er trägt die obligatorische Königskette. 

Wir essen und er sagt nicht viel und niemand sagt viel. 

Im Song „Money Spread“, der sich auf der „Lil Uzi Vert vs. The World 2“ betitelten Deluxeversion des Albums „Eternal Atake“ befindet, rappt Uzi: 

Oh my God

Yeah

Y’all niggas be workin‘ so hard

I don’t do nothin‘

I don’t do shit

Wie lange also braucht man für ein Einzelwerk, das sich ins Gesamtwerk einreiht, wenn man ein Magier ist und den ganzen Tag eigentlich nichts tut?

„Die öffentliche Ausstellung der vermeintlichen Langeweile während der Großquarantäne ist das furchtbarste, was ich bisher von meiner Generation sehen musste“, sagt er und seine kurzen Locken fliegen ihm um die Wangen. „Bisher dachte ich, dass jeder immer am Werk arbeitet, egal ob Künstler oder nicht. Aber ich weiß jetzt, dass das nicht stimmt. Ich bin geschockt. Es gibt unendlich viel anzuschauen und zu hören und zu lesen und die Menschen sind trotzdem abgestumpft genug, um Langeweile zu empfinden. Ich bin in den letzten Wochen aus allen Wolken gefallen. Oder ist es überheblich, zu glauben, dass alle Menschen eine Aufgabe haben?“

Ich sage nichts. 

Lil Uzi Vert verweist im Traum auf das Werk des größten Hexers unserer Y-Generation, Lil B aka. The BasedGod. Er zählt alle Alben des Rappers aus Berkeley aus dem Jahr 2011 auf, im Schlaf: The Silent President, Angels Exodus, BasedGod Velli, Gold House, I Forgive You, Bitch Mob: Respect Da Bitch Vol. 1, Black Flame, Im Gay (Im Happy)

LUV verweist danach auf das Werk des Rappers Future aus dem Jahr 2011, es schwirrt einem schon der Kopf: 

„2011 war vielleicht optometrisch kein so signifikantes Jahr wie 2020, aber es gab viele schöne Veröffentlichungen damals. XXX von Danny Brown, Jeeeesus. Das ist bald zehn Jahre her. Im Moment ist es sehr schwierig ein Werk irgendwo zu platzieren. Jeder mit einer 2020 unter dem Titel kann sich bekreuzigen vor Dankbarkeit.“

Es gibt in den Vereinigten Staaten von Amerika konkrete Zugänge zur Magie, zum Übersinnlichen, zur Natur, zum Teufel und der Hexerei. Lil Uzi Vert gilt bei vielen noch immer als satanistischer Rapper, weil er Marilyn Manson als Vorbild angibt und dessen Album Mechanical Animals als sein Lieblingsalbum. 

Im Song The Last Day On Earth singt Manson: 

I know it’s the last day on earth

We’ll be together while the planet dies. 

Ob er, Uzi, alleine sei?

„Ich verweise jetzt nur auf meinen Song I‘m Sorry. Sorry“, sagt er. 

Damn

She is banned, damn

She is banned, damn

Don’t call my phone at all

No, for real, for real

Don’t call me no more, like for real

„Aber es ist eine schwierige Situation für mich. Liebeskummer kommt gerade nicht zur besten Zeit. Wenn ich nochmal den BasedGod aus Berkeley zitieren darf: I’m looking for a girlfriend / I don’t wanna be alone when the world end.“

Er kneift die Augen zusammen. Er schaut sich um und schmatzt. 

„Oder wenn es ein bisschen mehr sein darf:

You could live in the woods or stay in the hood

When I throw a party, it’s all good

You’re invited, even on the guest list

So read your text message

I’ll send you directions

My address, where’s the affection

I’m looking for a girlfriend

I don’t wanna be alone when the world end

When I’m in Richmond I drive Lexus

Worldwide from Cali to Texas

Wir sind uns einig, dass Lil B traurig und schön ist.

Dann reden wir über Satan:

„Marilyn Manson, dieser Mann ist Ehrenmitglied der Church of Satan. Ich dagegen bin eine Nullnummer. Die Leute denken, dass Lil Uzi Vert eigentlich Luzifer bedeutet, also wenn man es schnell ausspricht.“

Noch bevor ich die Frage stellen kann, sagt er:

„Nein, ich folge Marilyn nicht mehr auf Instagram. Trotzdem, ich kenne den Weg sehr genau, es ist der Weg, den auch Marilyn gegangen ist, mit einer besonderen Zutat! Zu einem WERK gelangt man nämlich nur durch kontrolliert ausgeführte Magie, und natürlich auch dem Nichtstun, der Verweigerung von Anstrengung.“

Wir verbringen noch ein paar Stunden zusammen im Johnny Bleu. Der DJ ist wie ein trotziges Kind und will Danny Brown nicht spielen. 

Wir verlieren eine Sonnenbrille, 200$ und eine Lederjacke von Balmain (dreimal darf man raten).

In der Nacht von Philadelphia hält Lil Uzi Vert einen Monolog:

„Letztes Jahr im Dezember habe ich eine Reise ins Shugan-Gebirge unternommen. Es ist so, verstehst du: man muss immer auf der Suche sein. Ich habe mir ein künstliches Ziel gesucht, es war einerlei, aber ich reise niemals ohne Grund. Ich reise niemals, um Urlaub zu machen oder mal raus zu kommen. Das einzige Ziel, das ich hatte, war, im Shugan das Gesamtwerk von Miles Davis zu hören und neue Songs zu schreiben. Das klingt jetzt verklärt oder verschroben, aber letztendlich war das für mich sehr wichtig. Und eigentlich war diese Reise ein Geheimnis, niemand wusste davon.“

Die Stadt schließt.

LUV krächzt und hustet, er nimmt einen Zug von einem großen Joint und sagt dann, den Kopf in den Nacken gelegt:

„I‘m shittin with you. Was will ich im Shugan Gebirge? Ich war nirgendwo. Nirgendwo. Dachte nur, dass du sowas hören willst.“

„Gotya“, sage ich. 

Wir stehen uns gegenüber, es ist tiefschwarze Nacht auf den Straßen von Philly. 

Lil U will mir einen Zettel in die Hintertasche meiner Jeans stecken. Er lacht dabei und der Zettel fällt auf den Boden Philadelphias. Er hebt ihn auf und liest ihn noch einmal, bevor er ihn mir gibt. 

Ich glaube, dass mir diese Szene bekannt vorkommt. 

Er sagt, dass wir uns nicht die Hand geben dürften bei der Verabschiedung, nicht aus Hygienegründen, das sei egal, schließlich hätten wir uns ja auch schon geküsst heute, aber es würde einfach Unglück bringen in solchen Zeiten.

„Ich habe seit vier Wochen niemandem mehr Goodbye gesagt“, sagt er. 

Ich betrachte die Pistole in seiner Hand. 

Wir haben uns nicht verabschiedet. 

Am nächsten Morgen bin ich im Reich der unknown witch, einer Freundin Lil‘s. Ihr Kopf steht in schwarzen Flammen, sie ist nackt, sie ist eintausend Meter groß, sie schaut mich an. 

Ich frage die Hexe nach Lil Uzi. 

Ihr Mund öffnet sich und ich sehe Lil. Ihm hängt ein Joint im Mundwinkel, er schwimmt in einem See aus hunderten Köpfen, was die Oberfläche der Zunge der unbekannten Hexe ist. 

Ich denke wie ein Kind aus Arzano, was ein Vorort von Neapel ist. 

Kurz habe ich furchtbare Angst um den Rapper Lil Uzi Vert. Aber dann sagt er etwas, das mich beruhigt. 

Lil Uzi verschwindet lächelnd in einem schwarzen Loch in der Zunge der unbekannten Hexe. 

Zum Glück steht das, was er sagen wollte, auch auf dem Zettel in meiner Hosentasche. 

Ich nicke der Hexe zu.

Der Mund der Hexe schließt sich. 

Ich lege mich in ihre Arme. 

Lil Schmusis ist erschienen in Ausgabe #21 des Magazins WETTER