ICH WOLLTE INS REICH DER TOTEN hinabsteigen, um mich zu entschuldigen. Vor zehn Jahren hatte ich, in Begleitung meiner zwei Cousins und meines Bruders, während einer Führung durch die Katakombe des heiligen Kallistus einen mir bis heute unbegreiflichen Lachanfall bekommen und alle anderen damit angesteckt. Selbst in den Grabkammern der Päpste konnten wir uns im Moder der Jahrhunderte nicht beherrschen, und das Krächzen meines Bruders, das in Weinkrämpfe überging, ließ mich, trotz der wütenden Ermahnungen des Katakombenführers, vor Bauchschmerzen und Atemnot immer wieder gegen die Steinsärge schlagen. Wir hielten uns aneinander fest wie Besoffene und torkelten durch die Krypten. Der kollektive Anfall war so stark, dass uns der Fremdenführer mit allen möglichen Mitteln zu trennen versuchte – ohne Erfolg. Selbst als uns Totenschädel und mumifizierte Hüftknochen im Vorbeigehen streiften, konnten wir uns nicht zusammenreißen. Wir versuchten uns an die traurigsten Sachen zu erinnern, die jemals passiert waren, nicht nur uns, sondern der Welt und Europa – dem ganzen großen Weltfriedhof Europa! –, aber es war zwecklos.
Sowohl die Touristen als auch der Führer der Gruppe hassten uns dafür. Sie ließen uns, weil wir uns nur noch gekrümmt fortbewegen konnten, irgendwann hinter der Krypta der heiligen Caecilia stehen, und dann kauerten wir alleine im Dämmerlicht, und das Lachen wurde leiser. Dass wir zurückgelassen wurden, bremste ein wenig unsere Ekstase, obwohl es kaum Abzweigungen gab und man sich nicht großartig verlaufen konnte. Wir hörten die immer schneller werdenden Trippelschritte der Italiener, Chinesen, Japaner, Russen und Franzosen, wir hörten leise Stimmen und Gekicher. Wollten sie uns in einen Hinterhalt locken?
Irgendwann verstummten die Geräusche der großen Gruppe im Nichts, und wir waren uns sicher, dass man uns hier unten alleine und in der Dunkelheit verschwin- den lassen würde. Wir hörten auf zu kichern, mein Bruder wischte sich eine letzte Träne aus den Augenwinkeln, und dann bekamen wir Gänsehaut im Nacken. Keiner von uns traute sich, nach hinten zu schauen, in die Richtung, aus der wir gekommen waren, denn dort lagen nicht nur über eine halbe Million Tote, sondern auch sechzehn Päpste. (Und wir waren in unseren bisherigen Leben alles andere als fromm gewesen – aber alle vier katholisch.)
Nach einiger Zeit erreichten wir den Fuß der Treppe, die aus der Unterwelt führte. Als mein Cousin Gianni die erste Stufe betrat, ging im gesamten Tunnel- und Katakomben- system des ersten Hauptfriedhofs der christlich-römischen Gemeinde das Licht aus. Dunkelheit umgab uns, wir konn- ten den Ausgang von hier unten nicht erkennen, draußen dämmerte es bereits. Es war kurz nach Weihnachten.
Da aber schoss die Luft wieder durch die Lungen, und der nächste, diesmal leicht panische Lachanfall überkam uns, während wir uns an den Wänden der Katakombe nach oben tasteten.
Anders als Aeneas, der Held der griechisch-römischen Mythologie, waren wir an diesem Abend vor über zehn Jahren nicht geläutert und weinend aus dem Totenreich zurück zu den Lebenden gekehrt, sondern so schlau wie vorher.
Dann aber, am selben Abend, fragten wir uns doch, ob nicht die Angst vorm Sterben und Verschwinden dieses Lachen ausgelöst hatte.
Als uns der Hobby-Archäologe, der uns durch die Katakombe geführt hatte, an der Erdoberfläche wiedersah und ihm klar wurde, dass er mit dem Ausschalten des Lichts niemandem hatte Angst einjagen können, blitzte es in seinem Gesicht in der Dämmerung noch einmal vor Wut weiß auf, dann drehte er sich um und schritt ächzend über den Sandboden in Richtung Via Ardeatina davon, wo er zwischen zwei Zypressen in der Dunkelheit verschwand.